Der Ritus der portugiesischen Synagoge. Hamburg, Oct. 1837.

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Denne nettutgåva er avskrift frå ein skanna versjon av Allgemeine Zeitung des Judenthums, årgang 2 (1838) ved Google Books. Rettskriving og teknsetting er oendra, med desse to unntaka: Lang og kort s er begge attgjevne som s; og stor I/J, som er identiske i originalen, er attgjevne som I eller J etter samanhengen. Originalen er i fraktur. Der ord er skrevne med latinsk skrift, er det i staden bruka halvfeit skrift. Eit spørsmålstekn i skarpe klammor [?] viser at ein bokstav var olesande i kjelda, [??] to bokstavar, osv. Overskrifter som ikkje er originale er tillagt i [skarpe klammor].


No. 11. Leipzig, den 25. Januar 1838.

Der Ritus der portugiesischen Synagoge.

Hamburg, Oct. 1837.

Ich danke Ihnen, lieber . . . ., recht herzlich für Ihre Aufforderung, meine Anwesenheit in Hamburg zur nähern Bekanntschaft mit dem portugiesischen Ritus zu benutzen. Meine Bemühung ist reichlich belohnt; ich habe es für Pflicht, Ihnen alles Interessante mitzutheilen, und Sie können es, wenn Sie wollen, weiter veröffentlichen. Denn obgleich ich diesen Bericht durchaus nicht als erschöpfend ansehen kann, so ist es doch eigentlich eine Schande, wie fremd uns in Deutschland dieser Gegenstand ist; so fremd, daß außer Hamburg, Altona und Wien[1]; wo die portugiesischen Synagogen — oder wie sie sie nennen: Esnoga’s — haben, fast Niemand zu finden ist, der von einem Ritus, dem die Mehrzahl unserer Nation in allem Welttheilen huldigt, mehr wüßte, als höchstens, daß er Hülsenfrüchte am Pesach gestattet, die Tefilin in den Festwochen verbietet und schöne rhythmische, uns aber wenig bekannte Pijutim gibt. Ja, ohne den hamburger Tempel in Leipzig während der Messe wäre selbst die Aussprache und die Art des Vortrages und Gesanges uns fast gänzlich unbekannt geblieben.

Doch ich komme zur Sache, und werde alles hinterein[an]der hinschreiben, wie ich es theils nach eigener Anschauung, theils nach freundlicher Mittheilung notirt habe; bitte Sie daher, sich auf etwas Confusion gefaßt su machen. Im Ganzen werde ich vorzüglich die Punkte berühren, deren Abweichung von unsern Gebräuchen am meisten auffällt, und weniger bei solchen verweilen, die Sie in ihrem portugiesischen Máchasor selbst nachlesen können. Sie wissen, ich bin kein Theologe von Profession und müssen es also nicht zu streng nehmen.

Míkól melamdái hiskálti! Als ich zum ersten Male, es war an einem Freitag Abend, in die Esnoga trat, ging vor mir her ein Mann mit einem zehnjährigen Knaben, zu dem er sagte: „Na myn lewe Mordechāi, wenn du morgen de haftara so good leest as güstern Awend, denn sollst du mahl sehn, watt ick Dy för’n langen Mischĕ-bĕrách maken laat!“ Hier hatte ich nun schon gelernt, daß die Portugiesen ihre Namen nicht modernisiren, daß sie die provinzielle Landessprache reden, und daß ein Kind bei ihnen Mafthir sein kann. Ich bildete mir nun meine Richtschnur für weitere Erkundigungen, und brachte so mein Quantum Notizen zusammen.

Mit bewundernswürdiger Pietät erhält hier in Hamburg eine Gemeinde von ungefähr hundert Seelen, von der noch dazu ein großer Theil nicht orthodox lebt, und die sich im Nothfall ohne Mühe den Deutschen anschließen könnte, eine völlig constituirte Gemeinschaft (congregação) und einen Tempel, der sogar am Alltag-Gebet Morgens und Abends fast ohne batlanim vollzählig besetzt wird. Mancherlei Verhältnisse haben sie oft in Versuchung gebracht, ihren Verband aufzulösen, die reichsten ihrer Familien sind im vorigen Jahrhundert (siehe No. 41 vor. Jhrg. dieser Zeit) wegen des bürgerlichen Drucks ausgewandert, sie selbst waren sogar vor einigen Jahren genöthigt, ihr altes Gotteshaus zu veräußern und ein kleineres Local zu beziehen; aber das Heiligthum ihrer Väter fallen zu lassen, dazu konnten sie sich nie entschließen. Wo ist noch solch ein Glaube in Israel zu finden? Dazu besitzen sie in der Person des Herrn Jehuda Cassuto einen vielseitig gebildeten Mann. — — Er unterrichtet außer in Religion u. s. w. in sechs lebenden Sprachen, und, obgleich Familienvater, für einen unbedeutenden Gehalt die weit mehr als bei uns mit Geschäften beladene Stelle des Chasan versieht, und zugleich Rabbinerstelle vertritt, so wie die Kinder der Armen unentgeldlich in der Religion u. s. w. unterrichtet, Sóchra lo Elohim letobá!

In den Familien wird gewöhnlich plattdeutsch gesprochen, das sogenannte Judendeutsch ist ihnen völlig fremd, eben wie unsere hebräische Currentschrift und überhaupt die Sitte, europäische Sprachen mit hebräischen Buchstaben zu schreiben. Bei den wenigen wörtern (vorzüglich Namen), wo sie dies bisweilen thun müssen, dient[2] ש für S. Sch., und X, י für e, יי für i und ei, und ו für o und u., was solchen Wörtern mitunder ein wunderliches Ansehen gibt. Vielleicht ist aus Mißverstand das so geschriebene Wort שנייאור (Senior) zu dem bei den Deutschen hin und wieder vorkommenden Vornamen Schneyer geworden. Andererseits drücken sie das hebräische ח, ע und ה durch H aus, und bedienen sich, wenn sie hebräisch schreiben, der Raschi-Schrift.

So wie noch jetzt die deutschen Juden in Polen und Rußland (und vor wenigen Jahren auch die in Schweden, Dänemark, Holland und England) der deutschen Sprache eine besondere, gleich nach der hebräischen volgende, Heiligkeit beilegen, und bei religiösen Studien und Gesprächen keine andere gestatten: so herrscht auch bei dem größten Theile der Portugiesen eine besondere Vorliebe für die pyrenäischen Sprachen und zwar wird bei den italienischen, morgenländischen und afrikanischen (barbariscos) Gemeinden die spanische, bei den nordeuropäischen (flamingos) aber die portugiesische in der Art vorgezogen, daß z. B. hier in Hamburg in letzterer die Mische-berrāhs (offertas) und die Bekanntmachungen (pregões), die Verkündigungen der Neumonde und Fasttage etc. abgelesen, die Bücher und Rechnungen der Gemeinden geführt werden u. s. w. Die religiöse Literatur aber ist bis auf die neueste Zeit, wo nicht hebräisch, durchaus in spanischer Sprache geführt worden.

Spanisch sind alle anerkannten Bibel- und Gebetübersetzungen, spanisch werden die Haftara's, Schimmú, Chasōn und Asōf (am 9ten Ab.) Vers vor Vers mit dem Original abgesungen, und spanisch ruft der Vorsänger an den Gallerie hinauf, damit die Frauenzimmer die Uebersetzungen nach[l]esen können. Auch wurde früher blos spanisch gepredigt. Jetzt ändert sich dies freilich alles. Herr Cassuto predigt gelegentlich deutsch, in London, Amsterdam und Bordeaux wird regelmäßig in der Landessprache gepredigt, und in Amsterdam, was alle Flamingos gewissermaßen als Metropolitan-Kirche betrachten (obgleich die hamburger Gemeinde älter ist), wie die Orientalen Constantinopel, ist im vorigen Jahre ein sehr gut ausgestattetes vollständiges Gebetbuch mit Muldars schöner holländischen Uebersetzung gedruckt worden.

In früheren Zeiten herrschte, wie Sie wissen, eine tiefe, an Haß grenzende Verachtung gegen die deutschen Juden (Tedescos) und Verschwägerungen waren durch besondere Anathema's gepönt, denen zufolge jede portugiesische Judenfamilie, aus der ein Mitglied eine Tedesca ehelichte, eine förmliche Siebentagstrauer hielt; auch wurden solche Ehemänner in der Synagoge bis an ihren Tod immer nur als Stabbachír (der Unverheirathete) aufgerufen. Bei dergleichen schroffen Anordnungen, eben wie bei noch schlimmern einer andern Gattung, wie z. B. bei der Behandlung Acosta's und Spinozas, dürfen wir nur bedenken, daß diese Juden bei den Dominikanern in die Schule gegangen waren, ja mitunder lange Jahre selbst deren Maske getragen hatten. Inzwischen ist auch nicht zu übersehen, daß dieser unter Anderm von dem malitiösen d'Argens persiflirte Hochmuth[3] neben dem Dunkel alleiniger directer Abstammung von dem Stamm und der Familie David's, auch wol daraus sich erklärt, daß so viele Familien von Rang, Reichthum und Weltbildung, angethan mit aller castlichen Grandezza — die sogar bisweilen, wo der Reichthum sich verliert, zur Carricatur wird — und mit der, die ersten Jahrhunderte nach dem Exit wenigstens, nie ersterbenden Hoffnung einer baldigen Rückkehr in das unvergessene Vaterland, plötzlich unter Glaubensbrüder versetzt wurden, die sie noch weit tiefere unter sich stehend fanden. als wir etwa die Juden in Podolien in ähnlichem Falle finden würden. Inzwischen hat der nur dem Gelde huldigende Geist unserer Zeit auch hier schon vieles ausgeglichen; Montefiore hat sich seiner Schwäger, der Rothschilde, nicht zu schämen, und in Hamburg werden verhältnißmäßig viele Ehen zwischen beiderlei Zungen geschlossen, namentlich von Seiten der unvermögenden Klasse der Portugiesen, die auch ihre Kinder in die Freischulen der deutschen Gemeinde schicken.

Ganz verschwunden ist aber jener Kastenstolz noch lange nicht, da sogar der längst christianisirte d'Israeli, in seinem Spirit of Judaism, ihm huldigt, und es besonders geltend macht, daß viele jüdische Familien-Namen — und sie besitzen deren uralte, regelmäßig vererbte, sowol orientalischen als europäischen Ursprunges — sich noch jetzt bei dem höchsten Adel in Portugal — das Haus Braganza soll ja selbst jüdischen Ursprungs sein, — wieder finden. Da sie übrigens dort sowol als Juden als , unter christianisirter Maske, bisweilen hohe Staatsämter bekleiden, so ist einigen Anspruch auf ächten, nicht blos finanziellen Adel, hier und da ohne Zweifel begrundet, und so finden wir denn die Namen: Pereira, da Costa, de Castro, da Silva, Pimentel, Sasportas, Ximenes neben den Sealtiel, Edrehi, Luria, Abudiente, Jessurun etc.

Die Kohanim setzen ihre Qualität ihren Familien-Namen vor und heißen z. B. Cohen de Lura, Cohen Lobato, so auch die Frauen, z. B. Sara Cohanet de Rocha u. s. w. Der weit verbreitete kohanitische Namen Azulay entstehet bekanntlich aus den Initialen von Ischá soná ugruschá ló jikáchu. Die Namen Abrabanel und Spinoza existiren noch heute in Holland.

Die Vornamen sind fast durchgehens und für beide Geschlechter biblisch, und werden auch im Gebrauche nicht umgeändert, außer im vertrautesten Umgang durch holländische Diminutiven. (Z. B. aus Jacob wird Koetje, aus Josua Suetje, aus Salomon: Monne, aus Channá: C[h]anátje etc.) Diese Integrität der Namen wird vorzüglich dadurch erhälten, daß die Kinder die Namen ihrer Großältern und zwar oft den Familien-Namen ihres mütterlichen Großvaters mit in den Kauf, bei deren Leben schon erhalten, und dann auch weil das portugiesische Ohr an die sonare Aussprache des Hebräischen gewöhnt, es noch nicht so weit gebracht hat, zu finden, daß z. B. Julius schöner klingt, als Josef, Moritz als Mose, Siegmund als Salomo, und Eberhard als Elia. Aber da lasse man sie sich nur erst mit uns amalgamiren, wir wolle sie wol lehren, sich dieser Namen, oder gar solcher wie Gideon, Bozalél, Abigail etc. zu enthalten! Und dann wollen wir ihnen auch unser Geheimniß der Namen entdecken, wie man sich nur Friedrich oder Isidor oder Eduard oder Peter nennen dürfe; um auch im Entferntesten nicht für einen Juden erkannt zu werden. Aber es scheine, sie haben gar keinen Sinn für diesen Vortheil, thun sich am Ende gar auf ihre jüdische Abkunft etwas zu Gute und sind gleich ihren Großvätern immer bereit, lieber Vermögen, Vaterland und Leben, als ihre Gewissensfreiheit aufzugeben! Nach Würden und Beamtenstellen streben sie nun einmal gar nicht.

(Fortsetzung folgt.)

No. 14. Leipzig, den 1. Februar 1838.

(Fortsetzung.)

Als Ersatz werden jedoch im gewöhnlichen Umgange, selbst von den weniger Gebildeten, von halbhebräischen Worten keine, und von völlig hebräischen nur wenige gebraucht, und neben diesen auch einige spanische z. B. Cuñado, mozo, tedesco u. dgl. m. Die auf den Cultus bezüglichen Ausdrücke werden größtentheils deutsch und portugiesisch (oder spanisch) gegeben, wie z. B.

[Anmerkungen.]

  1. Zu Wien bei den türkischen und griechischen Juden, welche auch in Leipzig während der Messe ihren Gottesdienst in einem Betsaal halten, Anm. d. Einsend.
  2. Weil die spanische Sprache wol ein tsch aber kein sch hat. D. Einsend.
  3. Lettres Juives, Band 2, Brief 53.