Der Ritus der portugiesischen Synagoge. Hamburg, Oct. 1837.

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Der Ritus der portugiesischen Synagoge.

Hamburg, Oct. 1837.

Ich danke Ihnen, lieber . . . ., recht herzlich für Ihre Aufforderung, meine Anwesenheit in Hamburg zur nähern Bekanntschaft mit dem portugiesischen Ritus zu benutzen. Meine Bemühung ist reichlich belohnt; ich habe es für Pflicht, Ihnen alles Interessante mitzutheilen, und Sie können es, wenn Sie wollen, weiter veröffentlichen. Denn obgleich ich diesen Bericht durchaus nicht als erschöpfend ansehen kann, so ist es doch eigentlich eine Schande, wie fremd uns in Deutschland dieser Gegenstand ist; so fremd, daß außer Hamburg, Altona und Wien[1]; wo die portugiesischen Synagogen — oder wie zie sie nennen: Esnoga’s — haben, fast Niemand zu finden ist, der von einem Ritus, dem die Mehrzahl unserer Nation in allem Welttheilen huldigt, mehr wüßte, als höchstens, daß er Hülsenfrüchte am Pesach gestattet, die Tefilin in den Festwochen verbietet und schöne rhythmische, uns aber wenig bekannte Pijutim gibt. Ja, ohne den hamburger Tempel in Leipzig während der Messe wäre selbst die Aussprache und die Art des Vortrages und Gesanges uns fast gänzlich unbekannt geblieben.

Doch ich komme zur Sache, und werde alles hinterein[an]der hinschreiben, wie ich es theils nach eigener Anschauung, theils nach freundlicher Mittheilung notirt habe; bitte Sie daher, sich auf etwas Confusion gefaßt su machen. Im Ganzen werde ich vorzüglich die Punkte berühren, deren Abweichung von unsern Gebräuchen am meisten auffällt, und weniger bei solchen verweilen, die Sie in ihrem portugiesischen Máchasor selbst nachlesen können. Sie wissen, ich bin kein Theologe von Profession und müssen es also nicht zu streng nehmen.

Míkól melamdái hiskálti! Als ich zum ersten Male, es war an einem Freitag Abend, in die Esnoga trat, ging vor mir her ein Mann mit einem zehnjährigen Knaben, zu dem er sagte: „Na myn lewe Mordechāi, wenn du morgen de haftara so good leest as güstern Awend, denn sollst du mahl sehn, watt ick Dy för’n langen Mischĕ-bĕrách maken laat!“ Hier hatte ich nun schon gelernt, daß die Portugiesen ihre Namen nicht modernisiren, daß sie die provinzielle Landessprache reden, und daß ein Kind bei ihnen Mafthir sein kann. Ich bildete mir nun meine Richtschnur für weitere Erkundigungen, und brachte so mein Quantum Notizen zusammen.

Mit bewundernswürdiger Pietät erhält hier in Hamburg eine Gemeinde von ungefähr hundert Seelen, von der noch dazu ein großer Theil nicht orthodox lebt, und die sich im Nothfall ohne Mühe den Deutschen anschließen könnte, eine völlig constituirte Gemeinschaft (congregação) und einen Tempel, der sogar am Alltag-Gebet Morgens und Abends fast ohne batlanim vollzählig besetzt wird. Mancherlei Verhältnisse haben sie oft in Versuchung gebracht, ihren Verband aufzulösen, die reichsten ihrer Familien sind im vorigen Jahrhundert (siehe No. 41 vor. Jhrg. dieser Zeit) wegen des bürgerlichen Drucks ausgewandert, sie selbst waren sogar vor einigen Jahren genöthigt, ihr altes Gitteshaus zu veräußern und ein kleineres Local zu beziehen; aber das Heiligthum ihrer Väter fallen zu lassen, dazu konnten sie sich nie entschließen. Wo ist noch solch ein Glaube in Israel zu finden? Dazu besitzen sie in der Person des Herrn Jehuda Cassuto einen vielseitig gebildeten Mann. — — Er unterrichtet außer in Religion u. s. w. in sechs lebenden Sprachen, und, obgleich Familienvater, für einen unbedeutenden Gehalt die weit mehr als bei uns mit Geschäften beladene Stelle des Chasan versieht, und zugleich Rabbinerstelle vertritt, so wie die Kinder der Armen unentgeldlich in der Religion u. s. w. unterrichtet, Sóchra lo Elohim letobá!

In den Familien wird gewöhnlich plattdeutsch gesprochen, das sogenannte Judendeutsch ist ihnen völlig fremd, eben wie unsere hebräische Currentschrift und überhaupt die Sitte, europäische Sprachen mit hebräischen Buchstaben zu schreiben. Bei den wenigen wörtern (vorzüglich Namen), wo sie dies bisweilen thun müssen, dient[2] ש für S. Sch., und X, י für e, יי für i und ei, und ו für o und u., was solchen Wörtern mitunder ein wunderliches Ansehen gibt. Vielleicht ist aus Mißverstand das so geschriebene Wort שנייאור (Senior) zu dem bei den Deutschen hin und wieder vorkommenden Vornamen Schneyer geworden.

[Anmerkungen.]

  1. Zu Wien bei den türkischen und griechischen Juden, welche auch in Leipzig während der Messe ihren Gottesdienst in einem Betsaal halten, Anm. d. Einsend.
  2. Weil die spanische Sprache wol ein tsch aber kein sch hat. D. Einsend.